An dieser Stelle informieren wir Sie seit Januar 2011 über Neuigkeiten aus Brasilien und Deutschland. Informationen aus der Zeit davor finden Sie in unserem
alten Blog. Wenn Sie Portugiesisch sprechen finden Sie zudem Informationen im Blog von
Grupo Ruas e Pracas.
Die deutsche Praktikantin Caro ist nun seit einigen Wochen bei unserer Partnerorganisation Grupo Ruas e Praças in Recife und berichtet hier von ihren Erfahrungen:
Hallo zusammen,
ich bin nun schon seit drei Monaten in Recife und arbeite seit gut zwei Monaten für Ruas e Praças. Meine erste Arbeitswoche habe ich sehr gut überstanden, denn ich wurde zusammen mit Rebecca sehr herzlich und freudig empfangen. Ich hatte direkt den Eindruck gebraucht zu werden und so wurde ich auch sofort zu 100% eingesetzt und ernst genommen. Für mich war dieser Einstieg sehr gut, durch Rebecca hatte ich bereits viele wichtige Dinge erfahren und wusste somit schon worum es bei der Arbeit geht.
Ich habe schon einige prägende Erfahrungen bei der Straßenarbeit, in den Favelas und auf der Sítio sammeln können. Um das Ganze ein bisschen deutlich zu machen, möchte ich gerne zwei Eindrücke näher beschreiben.
Zum einen ein bewegendes Erlebnis, welches geschah, als wir einige Straßenkinder zum 2-Tages-Prozess „einsammelten“ und zum Haus der Grupo brachten, wo der Kombi bereits wartete. Die Jungen blieben unterwegs an einigen kleinen Essensständen stehen, bitten und betteln um eine Kleinigkeit zum Essen. Es ist früh am Morgen, viele Brasilianer sind unterwegs zur Arbeit, ich werde mit kritischen, missachtenden, herablassenden Blicken betrachtet, manche schütteln den Kopf. Es ist traurig, am eigenen Leib zu spüren, wie verachtend und ignorant viele Menschen hier mit der Situation der Straßenkinder umgehen. Jedoch haben die Kids auch Glück gehabt, manche Verkäufer werden weich, wenn sie mit flehendem Blick auch auf mich zeigen und sagen, dass ich aus Deutschland komme und wir zusammen auf einen Hof fahren - ihre Augen strahlen.
Auch wenn ich auf der Straße und den Plätzen arbeite, mit den Kindern Domino spiele, schauen viele Passanten mich abwertend an. Das hat mich anfangs sehr erschüttert, denn das Elend nur zu ignorieren, macht es keineswegs besser. Mich hat diese Missachtung jedoch nur bestärkt, mein Bestes zu geben.
Ein anderer tief sitzender Eindruck bekam ich in der Favela, bei einem Familienbesuch zusammen mit Solange. Wir waren auf der Suche nach der Hütte von Alexandra. Sie ist 15 Jahre alt und hat bis zum Ende des letzten Jahres auf der Sítio gewohnt. Leider hat es sie zurück in die Stadt gezogen, ihr Problem ist der Alkohol. Wir sind gekommen um sie gemeinsam für einen Kurs einschreiben zu können. Die Verhältnisse dieser Favela sind erschütternd. Die Trampelpfade zwischen den Hütten sind winzig, das Abwasser steht darin, läuft in Bächen vor den Haustüren, zwischen zwei Hütten häuft sich der Müll. Viele kranke Hunde und Katzen streunen herum, trinken das Abwasser, kleine Kinder spielen darin. Wir finden Alexandra in der Hütte ihrer Großmutter. Hütte ist mehr als übertrieben, der kleine Platz lässt sich eher mit dem einer Gefängniszelle vergleichen. Die Frau lebt hier mit Alexandra und vier anderen Kleinkindern, um die sie sich kümmern muss, da ihre Mutter lieber den Drogengeschäften auf der Straße nachgeht. Auch die Mutter von Alexandra hat keinerlei Interesse mehr an dem Leben ihrer Tochter: „Ihr braucht eine Unterschrift für diesen Kurs? Sie hat jetzt ihr eigenes Leben und ich meins, geht zur Großmutter, soll sie sich doch kümmern.“ Alexandras Mutter verkauft auch Drogen, sie hat eine größere Hütte nur für sich und ihre ständig wechselnden Freunde und natürlich um die Drogen zu verkaufen. Es ist sehr traurig mit anzusehen, wie die Mutter über die Zukunft ihrer Tochter spricht, zwei Wochen später ist sie wegen den Drogengeschäften im Gefängnis. Wir fahren zu der Schule, wo er Kurs stattfinden soll. Es ist ein buntes kleines Gebäude, viele Bilder an den Wänden, freundlich eingerichtet. Alexandra strahlt noch mehr, als alles halbwegs gut über die Bühne geht. Es braucht jedoch einiges an Erklärungsarbeit und Geduld, denn die Unterschrift der Mutter wird absolut dringend benötigt. Der Kurs kostet im Monat 10 Reais, er wird durch die Spenden finanziert. Alexandra ist glücklich, freut sich auf den Kursbeginn. Solange und ich fahren noch zur CRAS (Centro de Referência de Assistência Social = Referenzzentrum für Sozialhilfe), um dort eine Art Sozialhilfe für Alexandra zu beantragen. Es ist viel Aufwand und auch hier müssen wir die Situation von Alexandra genau erklären, aber die Sozialpädagogin kennt schon einige solcher Geschichten und ist sehr hilfsbereit. Dennoch hat dieser Besuch gezeigt, wie schwierig es ist an ein bisschen Geld vom Staat zu kommen, viele Dokumente werden benötigt: jemand der in einem Räumchen haust, gerade so groß wie eine kleine Gefängniszelle, der hat kaum eine Meldebescheinigung oder Rechnungen von Strom oder Wasser. All das wird aber benötigt, um Sozialhilfe zu bekommen. Mir hat dieser Tag sehr deutlich gezeigt, dass der Versuch Hilfe zu bekommen, für jemanden wie die Großmutter, die alle notwendigen Papiere besorgen muss, ein Kampf und mit viel Aufwand verbunden ist. Daher erstickt dieser Versuch leider zu oft schon im Keim, weil ein Dokument fehlt. Es braucht jemanden, der sich zu behaupten weiß, der weiß wovon er spricht, der helfen kann und will – an diesem Tag waren das Solange und ich.
Ruas e Praças ist vor einigen Wochen in das neue Haus umgezogen, dieser Umzug war mit viel Stress verbunden, denn über die Jahre hat sich doch einiges angesammelt, was nun zusammengeräumt und verfrachtet werden musste. Ein Problem der letzten Wochen war aber vielmehr das mangelnde Geld, um Benzin für den Kombi zu bezahlen. Häufig schon wollten mehr Kinder mit auf die Prozesse, als die neun freien Plätze in einem Kombi. Gerne hätten wir den zweiten Kombi der Partnerorganisation (Movimento Nacional dos meninos e meninas de rua) genutzt, um mit den Kindern zu arbeiten, aber dies war leider nicht möglich. Das hat alle ein wenig niedergeschlagen. Umso besser, dass die Motivation nun wieder rasch angestiegen ist, denn die Prozesse können endlich wieder regelmäßig stattfinden. Zu einem kleinen Tief hat ebenfalls der ständige Wechsel der Erzieher auf der Sítio geführt, was auch die Kinder zu spüren bekommen. Da momentan nur Diogens als fester Erzieher auf der Sítio arbeitet, sind während einer Woche manchmal 2-3 verschiedene Erzieher auf der Sítio um die Woche abzudecken. Jeder Erzieher hat natürlich seine Art und Weise mit den Kindern umzugehen, der Eine erlaubt etwas, was der andere erst vor ein paar Tagen nicht erlaubt hat. Gemeinsam in einer Reunião (Versammlung) wurde dieses Problem aber angesprochen, eine Art „Vorfallheft“ wurde vorgeschlagen, in das jeder Erzieher wichtige Vorkommnisse oder neue Regeln eintragen kann. Auch ein kurzer Austausch bei der Ablöse auf der Sítio vor Ort wird in Zukunft stattfinden.
Insgesamt bin ich sehr zufrieden hier, die Arbeit macht mir großen Spaß, ich lerne viele verschiedene Sachen dazu und vor allem tut es gut, ein Praktikum zu absolvieren, was sinnvoll ist. Denn meine Hilfe brauchen die Kinder so sehr!
Die herzlichsten Grüße nach Deutschland,
Carolin