An dieser Stelle informieren wir Sie seit Januar 2011 über Neuigkeiten aus Brasilien und Deutschland. Informationen aus der Zeit davor finden Sie in unserem
alten Blog. Wenn Sie Portugiesisch sprechen finden Sie zudem Informationen im Blog von
Grupo Ruas e Pracas.
Laura verbringt ein dreimonatiges Praktikum bei unserem Partner Grupo Ruas e Praças in Recife. Sie ist seit einem Monat vor Ort und betreut die Kinder und Jugendlichen auf dem Kinderhof. Sie erzählt von ihrer Arbeit mit den Straßenkindern und wie sie es schafft, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.
Es ist Mittag, die Kinder hängen etwas träge vor dem Fernseher herum. Ich nehme Coloral mit Cajunüsse sammeln. Von den beiden Hunden Gunga und Viola begleitet, laufen wir die Sandstrasse zu den grossen Cajubäumen hinauf. Es ist schwierig, die braungrünen Nüsse zwischen all den braunen Blättern zu erkennen. Hängen sie noch an der Frucht, die gelb durch den Blätter scheint, ist es ein leichtes sie zu finden. Doch noch ist es Oktober und erst im Dezember ist Cajuzeit. Coloral und ich klettern auf den Baum, denn von oben hat man bekanntlich eine bessere Aussicht. Coloral hat auch schon ein paar reife Früchte entdeckt. Wie ein Seiltänzer balanciert er auf den Ästen, tänzelt von Frucht zu Frucht, beisst hinein und steckt die Nüsse in seine Hosentasche.
Wir suchen den Boden ab, kriechen weit unter die Äste, die bis dicht zum Boden reichen. Und siehe da, die Mühe hat sich gelohnt: Es sind doch mehr Nüsse als in einem großen Cajublatt Platz finden und das zwei Monate vor der eigentlichen Erntezeit.
Später wird Isaias sie für uns rösten und wir werden die verkohlte Schale mit einem Stein aufklopfen. Am Ende werden nicht allzu viele Nüsse überig bleiben, da beim Knacken die meisten irgendwie verschwinden...
Als wir zurück kommen, sitzen die anderen Jungs mit Solange um den Tisch. Solange drückt Coloral Blatt und Stift in die Hand. Die Jungen sollen ihre Familie malen, ihre Geschwister, Eltern. Wie war ihre Kindheit? Womit verbrachten sie ihre Freizeit? Gingen sie zur Schule?
Vanderson malt sich wie er in der Schule sitzt und nachts schläft. Coloral hat wenig Lust, lässt sich dann aber doch überreden, etwas zu malen. Er zeichnet sich, seine Mutter und seinen Bruder, dem ein Bein amputiert wurde. Solange fragt nach, fragt ihn, wie viele Geschwister er hat. Sie weiß, dass es mehr als nur dieser eine Bruder ist. "Coloral, als du klein warst, hatte dein Bruder doch noch beide Beine." Coloral nickt. "Und was ist mit deinen anderen Geschwistern?" Nach einer Weile hat Coloral genug, er gibt das Blatt Solange und geht zu den anderen Jungs, die mittlerweile schon wieder kicken.
Guileme ist 11 Jahr alt, sein Grinsen ist spitzbübisch und sein Lachen ansteckend. Auf Solanges Frage, wie seine Kindheit war, fragt er sie: Was ist Kindheit? Sie erklärt ihm, dass man die Zeit von Geburt bis zum 12. Lebensjahr man Kindheit nennt. Es ist die Zeit, in der sprechen, laufen und Fahrradfahren lernt und das tut, was Kinder eben normalerweise tun - spielen. Guileme malt ein Boot. Eigentlich ist er noch ein Kind und doch hat er nicht mehr viel kindliches an sich. Seit mehr als zwei Jahren lebt er auf der Straße und diese Zeit hat Spuren gelassen. Über seine Familie gibt er ungern und selten Auskunft. Auch heute hat er keine Lust, über Familie und Kindheit zu reden. Er malt sein Boot fertig, drückt Blatt und Stift Solange in die Hand und rennt hinaus zum Fußballspielen.
Die Jungs haben nicht viel erzählt, gemalt oder geschrieben. Es braucht Geduld, doch mit jedem Mal wächst das Vertrauen und die Kinder geben ein Stück ihrer Geschichte preis.